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Auszüge aus der Chronik "Es war - Ein Dorf und seine Menschen zwischen 1931 und 1945" von

Bodo Zapora

 

Katastrophen in Striese

 

Rechts neben dem Haupteingang zum Kirchhof steht zwischen dem Pfortenpfosten und der Mauer der Wolter-Haus-Veranda ein "Sühnekreuz" von beachtlicher Größe.

In frühester Kindheit ist mir dazu erzählt worden, damit sei ein greulicher Mord gesühnt worden. In einer Wohnung über der Dominium-Stellmacherei wohnte bis Anfang der 1930'er Jahre die Familie Liebethal. Vater Liebethal war im ersten Weltkrieg an der Front verschüttet und schwer verwundet worden. Seitdem litt er unter permanenten Kopfschmerzen, Depressionen und heftigen Jähzornausbrüchen. In der Nacht vor der Hochzeit einer Tochter begab sich Frau Liebethal mit einem ihrer Kinder zu dieser Tochter, weil zwei auswärtig wohnende Kinder wegen der Hochzeit ihrer Schwester zu Besuch nach Hause gekommen waren. Diese von auswärts Angereisten schliefen mit einem Geschwister und dem Vater in der kleinen Wohnung der Eltern. Offensichtlich hat die damit verbundene Aufregung eine starke seelische Erschütterung des kranken Mannes ausgelöst. In der Nacht erschlug er mit einer Axt die bei ihm in der Wohnung schlafenden Kinder und zündete die Wohnung an. Anschließend ging er in den nahen Schloßpark und erkletterte dort vermutlich einen Baum, um zuzusehen, wie sich der Brand entwickelte, von der Feuerwehr gelöscht wurde und man die Leichen entdeckte. Danach begab sich der Vater Liebethal in die Ellguth-Feldscheune, wo er sich erhängte.

Die Rekonstruktion des Tatherganges und des anschließenden Selbstmordes war deshalb relativ einfach, weil am Vorabend Neuschnee gefallen war und Liebethals deutlich erkennbare Fußspuren leicht verfolgt werden konnten. Deshalb entdeckte man ihn relativ schnell in der Feldscheune. Obwohl Liebethal trotz der herrschenden Kälte noch nicht erkaltet war, wurden keine Wiederbelebungsversuche unternommen. Er hatte sich selbst gerichtet. Die Bluttat löste unter der gesamten Einwohnerschaft des Dorfes einen schweren Schock aus. Seit dieser Familientragödie mußte in dem kleinen Ort Striese fast alljährlich mindestens ein Selbstmord durch Erhängen beklagt werden.

 

Mir ist nicht bekannt, daß in diesem 20.Jahrhundert eine Feuersbrunst ganze Anwesen zerstört hätte. Der größte Brand zwischen den Weltkriegen war wohl zu Beginn der 1930'er Jahre, als sich das Heu auf dem Kuhstall-Heuboden selbst (?) entzündete. Ein durch Kurzschluß im Hauswasserwerk des Schmidt-Hofes entstandener Brand im Stallbereich ließ den Weber-Schuster (Nachtwächter) einmal nächtens in sein Horn blasen. Dieser und andere kleinere Brände konnten von der örtlichen Freiwilligen Feuerwehr immer schnell gelöscht werden.

 

Wetterbedingte Katastrophen gab es wiederholt im Winter, Frühling und im Sommer. Klirrender Frost, der die Thermometer noch unter  - 25 Grad Celsius trieb, ließ manche in den Höfen stehende Pumpe hoffnungslos einfrieren und störte die Wasserversorgung ganzer Familien empfindlich. Kamen dann auch noch Schneestürme hinzu, die zum Teil mehrere Tage andauerten, ruhte zunächst alles Leben außerhalb der Häuser und Ställe. Mehrfach war im Winter das Dorf von der Außenwelt abgeschnitten. Lediglich über das Telefon wurde die Verbindung in andere Orte aufrecht erhalten. An solchen Tagen kam auch kein Postauto. Die Post wurde dann mit der Kleinbahn nach Wiese geschickt, wo sie mit einem Pferdeschlitten abgeholt wurde. Das funktionierte jedoch nur, wenn die Kleinbahn überhaupt verkehrte. Die schmalbrüstigen, leichten Lokomotiven vermochten lediglich Verwehungen von Pulverschnee zu durchfahren. War Schnee von größeren und vielleicht sogar etwas feuchten Flocken aufgetürmt, dann hatten die Kleinbahnlokomotiven schnell eine für sie undurchdringliche Mauer vor sich zusammengeschoben, die zunächst weggeschaufelt werden mußte.

Schnelles Tauwetter im Frühjahr, gegebenfalls durch Regen beschleunigt, und Wolkenbrüche im Sommer ließen mehrfach den Lohe-Bach über die Ufer treten. Die Wassermassen schossen dann mit solcher Kraft durch das Dorftal, daß Stege, Brücken und größere Gegenstände wie Kaninchenställe, Klohäuschen und ähnliches, einfach hinweggeschwemmt wurden. Mehrere in der Nähe des Bachufers stehende Häuser gerieten bei solchen Überschwemmungen regelmäßig in Wassernot.

 

Tierseuchen wie Maul- und Klauenseuche, Rotz und Staupe, waren insbesondere für die betroffenen Gehöfte meist als mittlere Katastrophe anzusehen. Die Maul- und Klauenseuche war eine überwiegend im Winter auftretende hochansteckende, fieberhafte Erkrankung der Klauentiere. Die befallenen Tiere bekamen einen bösen Ausschlag an Maul, Klauen und Eutern. Weil die Übertragung durch Kontakt mit kranken Tieren oder infizierten Gegenständen erfolgte, wurden Gehöfte mit von der Seuche befallenen Tieren isoliert. Die Bewohner durften die Grundstücke nicht ohne zwingenden Grund verlassen, und Unbefugte durften sie nicht betreten. Eine Übertragung der Krankheit auf Menschen war nicht auszuschließen.

 

Die größte aller Katastrophen, die je in Striese eintrat, dehnte sich über den Zeitraum eines halben Jahres aus. Fast alle deutschen Einwohner verließen als Flüchtlinge vor der herannahenden Front Ende Januar 1945 ihre Häuser und Wohnungen. Wem es gelungen war, nach der Kapitulation im Mai und Juni desselben Jahres auf abenteuerlichste Art in die Heimat zurückzukehren, der wurde von inzwischen in den Ort gezogenen Polen im Juli und August gewaltsam von Haus und Hof gejagt.

Schlimmer als jeder materielle Verlust war die zwangsweise Aufgabe des Heimatrechtes, auch wenn Millionen andere Deutsche aus den deutschen Ostgebieten dieses Schicksal teilten.

 

 

 

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